„Unsere Nachbarschaft“ – Die Hamburger Sternwarte

Seit 1912 beheimatet Bergedorf die Hamburger Sternwarte am Gojenbergsweg. Hier erstreckt sich in einer großen Parkanlage ein ganzes Ensemble aus denkmalgeschützten neobarocken Kuppelbauten, in denen sich historische Teleskope befinden. Noch heute forscht hier die Universität Hamburg im Bereich der Astrophysik und beobachtet Planeten, Sterne und andere Himmelskörper.

Dr. Robi Banerjee vor der Sternwarte, mit Textteaser

Auch der Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaft und Technik ist hier ansässig. Im Juni 2021 hat die Freie und Hansestadt Hamburg beschlossen, sich mit der Hamburger Sternwarte bei der UNESCO um eine Welterbe-Nominierung zu bewerben.

Robi Banerjee ist seit 2011 Professor an der Universität Hamburg und leitet seit 2014 als Geschäftsführender Direktor die Hamburger Sternwarte. Er studierte in den 1990er-Jahren in Hamburg Physik und promovierte anschließend am Max-Planck-Institut in Garching. Dort forschte Banerjee im Bereich Kosmologie und widmete sich später bei einem Forschungsaufenthalt in Kanada dem Schwerpunkt Sternentstehung.

IBA Hamburg: Die Hamburger Sternwarte ist ein Denkmal. Dennoch herrscht hier reger Betrieb.

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Ja, mir und den rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es wichtig, dass die Sternwarte kein reines Museum ist. Heute sind hier am Standort sechs Professoren mit ihren Arbeitsgruppen ansässig, die aktiv forschen. Insbesondere arbeiten Astronomen und Astrophysiker auf internationaler Ebene in großen wissenschaftlichen Verbünden. Das hat auch einen ganz praktischen Grund, denn die Bergedorfer Teleskope können zwar genutzt werden, allerdings sind sie technisch nicht mehr auf dem allerneusten Stand.“

IBA Hamburg: Was macht bzw. machte Bergedorf als Standort für eine Sternwarte interessant?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Die Sternwarte befand sich Ende des 19. Jahrhunderts in der Nähe des Hamburger Hafens bzw. am heutigen Standort des Museums für Hamburgische Geschichte. Die Dampfschifffahrt, Industrie und Straßenbahnen behinderten jedoch die Arbeit an den Teleskopen durch schlechte Sicht und Erschütterungen, sodass ein neuer Standort gesucht werden musste. Der Gojenberg lag damals noch fernab der störenden Einflüsse der Großstadt. 

Die Bergedorfer Sternwarte war lange Zeit die modernste in Europa und zeichnete sich unter anderem durch eine Trennung von Büro- und Teleskopgebäuden sowie ihre technische Ausrüstung für die astronomische Forschung aus. Ursprünglich wurde die Astronomie für die Navigation auf den Weltmeeren benötigt. Hierzu wurden die Ephemeriden (Positionen der beweglichen Objekte am Himmel) vermessen. Außerdem wurde die astronomische Zeit in den 1920er-Jahren als genauste Zeitangabe gemessen, wofür es hier einen ansässigen Zeitmessdienst gab, der telefonisch bei Bedarf die exakte Zeit durchgab. Am ehemaligen Kaispeicher, der heutigen Elbphilharmonie, war außerdem ein Zeitball angebracht, der einmal täglich um 12 Uhr über die Zeit informierte. Die Anfänge der Sternwarte in Bergedorf waren damit immer noch eng mit dem Hamburger Hafen verbunden.“

IBA Hamburg: Was sind denn die technischen Errungenschaften der Sternwarte im internationalen Vergleich?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Das älteste Teleskop der Sternwarte stammt aus dem Jahr 1867. Mit dem Großen Refraktor und dem 1m-Spiegel beheimatet die Sternwarte zwei Meilenstein-Instrumente der Technikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, die den Übergang von der beobachtenden Astronomie zur modernen Astrophysik markieren. Der von Bernhard Schmidt an der Bergedorfer Sternwarte entwickelte Schmidt-Spiegel hat maßgeblich zur weltweiten Entwicklung der Astrofotografie beigetragen. Das wertvolle Fotoplattenarchiv der Sternwarte enthält etwa 47.000 astronomische Fotoplatten aus dem 20. Jahrhundert, die alle von 2010 bis 2020 in einem einzigartigen Projekt digitalisiert wurden. Dazu kommen Teleskop- und Instrumentenentwicklungen sowie eine lange Liste von viel zitierten Forschungsergebnissen auf fast allen Bereichen der Astronomie.“

IBA Hamburg: Wie empfinden Sie die Nähe zu Bergedorf? Leben Ihre Kolleg:innen hier? Gibt es einen Bezug zu dieser Region?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Die meisten von uns leben im Raum Bergedorf. Das Umfeld hier ist stark an der Sternwarte interessiert. Beispielsweise kümmert der Bezirk sich um den Betrieb des Sternwarten-Cafés. Seit Corona ist das Café leider außer Betrieb. Doch es besteht Hoffnung, dass sich bald ein neuer Betreiber findet. Das öffentliche Angebot der Sternwarte wird allerdings nicht nur von den Bergedorferinnen und Bergedorfern wahrgenommen, sondern von Besuchern aus ganz Hamburg und weit darüber hinaus. Unter anderem bietet die Sternwarte zusammen mit dem Förderverein jeden Sonntag um 14.00 Uhr öffentliche Führungen an. Aber auch ohne Teilnahme an einer Führung lohnt sich ein Spaziergang durch den schönen Park mit ausführlichen Infotafeln und Planetenpfad.“

IBA Hamburg: Wie läuft das Zusammenleben von Sternwarte und Anwohner:innen bezüglich des Lichts?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Es gibt eine Lichtschutzverordnung, nach der in der Nachbarschaft kein grelles Außenlicht verwendet werden darf, um die Beobachtungsverhältnisse nicht zu beeinträchtigen. Das wird von den Anwohnern berücksichtigt und es besteht bei ihnen ein gewisses Bewusstsein für unsere Forschung.“

IBA Hamburg: Befürchten Sie, dass es durch neue Lichtquellen in Oberbillwerder zu dahingehenden Beeinträchtigungen kommen könnte?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Oberbillwerder liegt zehn Kilometer entfernt. Bei der mittlerweile ohnehin starken Lichtverschmutzung in und um Hamburg wird der neue Stadtteil wahrscheinlich keine zusätzlichen Auswirkungen auf die Lichtverhältnisse haben.“

IBA Hamburg: Wenn ein neuer Stadtteil entsteht, wird heutzutage auch insbesondere die kulturelle Entwicklung des Ortes mitgedacht. Ist dies für Sie in Oberbillwerder interessant?

Prof. Dr. Robi Banerjee: Da die Sternwarte nicht nur ein Universitätsinstitut ist, sondern gleichzeitig auch ein Kultur- und Technikdenkmal mit öffentlichem Angebot, freuen wir uns auf neue Bürgerinnen und Bürger aus Oberbillwerder, die sich für unsere Einrichtung interessieren.“

IBA Hamburg: Gibt es Kooperationen mit Schulen?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Wir haben eine Montessori Grundschule auf dem Gelände der Sternwarte. Außerdem gibt es eine Astronomie-Werkstatt, an der Schulklassen aus ganz Hamburg teilnehmen. Darüber hinaus bieten wir jährlich einen Ferienkurs für Oberstufenschülerinnen und -schüler an, die überlegen, Physik zu studieren.“

IBA Hamburg: Was wünschen Sie sich für Oberbillwerder?

Prof. Dr. Robi Banerjee: „Für mich ist Klima- und Umweltschutz sehr wichtig, weswegen ich auch Klima- und Umweltschutzbeauftragter der Universität Hamburg bin. Ich würde mich freuen, wenn nachhaltiges und energieeffizientes Bauen, eine klimafreundliche Energieversorgung sowie eine lebenswerte Umgebung in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Außenansicht Sternwarte mit geöffneter Kuppel